Was für ein Titel – geneigter Leser, das Leben ist, wie unlängst im letzten Winter gelernt, mitnichten ein Ponyhof, deshalb wird der heutige Text vermutlich ein wenig bedeutungsschwanger.
Was sind also die „3 F’s“?
Familie, Freunde, Fakultät. So ist es wohl. Manchmal alle gleichzeitig, auch mal in umgekehrter Reihenfolge oder nur eins davon.
Momentan zählt für mich vor allem die „Familie“.
Während ich hier in Belfast festklebe (so muß ich es in diesem Fall leider ausdrücken), liegt meine Oma im Krankenhaus. Leider schon wieder.
Die Tatsache, dass sie im Krankenhaus liegt, macht mich weniger fertig, als dass ich nicht da sein kann. Ich bin fast 2000km weit weg und kann rein gar nichts machen. Bei allem, was man mit persönlicher Anwesenheit und einem einfachen „Da Sein“ erreichen kann – nichts davon kann ich momentan leisten, und das frustriert mich enorm. Ever felt helpless? Well, be my guest!
Ich glaubte ja bisher, schon eine ganze Reihe in Sachen Medizin gesehen zu haben, und bisher war das Schicksal auch immer recht gnädig mit mir und hat meine Familie von Dingen verschont, über die ich glaubte, keine Kontrolle zu haben. Aber eventuell mache ich mir da auch etwas vor. Was man selbst sieht und erfährt, ist eben doch anders, als das, was einem per Telefon mitgeteilt wird.
„F“ Nr. 2. Freunde.
Hat man oder hat man nicht, oder?
Ich übe mich hier momentan ein wenig in maximaler Soziopathie. Mein Dran, weg zu gehen wird nicht nur durch den begrenzten Spielraum in meiner Geldbörse limitiert, sondern wohl auch dadurch, dass die „üblichen Verdächtigen“ und die entsprechenden Lokalitäten fehlen.
Belfast ist mir einfach zu klein. An jeder Ecke sieht man Leute, die man kennt, und das ist etwas, was ich ja nicht so wahnsinnig schätze. Ich schätze das in dem Moment, in dem ich mich mit genau den Leute, die ich sehen will, verabredet habe. Aber das ist hier eher selten der Fall.
Ich glaube, mein latent eigenbrödlerisches Gehabe welches mir als Einzelkind und Überstresser zueigen ist, stößt hier nicht immer auf Gegenliebe.
Nun gut, ich habe mich darauf eingestellt, aber so wie zuhause isset eben net, gell?
Ergo: Ich vermisse die ganzen wahnsinnigen Leute, die komplett dahinter kommen, wie ich ticke. ;-)
Auch wenn viele von denen ECHT schreibfaul sind… ;-)
„F“ Nr. 3. Fakultät.
Nach fast vier Monaten kann ich nun sagen: Sie rückt langsam in den Hintergrund meines Denkens und Daseins.
Ganz „lassen“ kann ich es nicht und erfreue mich nach wie vor am üblichen Klatsch und Tratsch.
Was mir Belfast aber gebracht hat: Nicht alles muss schlechtgemacht, zerredet und zerfleischt werden. Nicht alles ist madig und anpacken und besser machen, und das (Oh mein Gott!!) auch noch im Team (!) kann manchmal eine ganze Menge bringen.
Nicht zuletzt kann es den Arbeitsalltag so viel entspannter machen.
Und stundenlang „darüber reden“ ist gerne auch „totreden“…
Ich merke langsam, wie viel Zeit und Energie zuhause darauf verwandt wurde (und nach den Gruselgeschichten die ich diese Woche gelesen habe), andere Leute und deren Überzeugungen fertig zu machen. Das ist, von hier aus betrachtet, nahezu unglaublich und es macht mich momentan fast krank, dass ich in dieses System zurückkehren werde.
Auf der anderen Seite hat es mir eine Menge gebracht, was mir auch hier zu Gute kommt.
Mein Tipp: Mal aussetzen tut den Junkies gut, auch wenn es ein „Cold Turkey“ ist am Anfang. Es gibt ein Leben ausserhalb der Charité.
Was gibt es sonst von hier zu berichten? In der letzten Woche war hier Halloween und Bonfire-Night. Dazu hat sich die ganze Stadt auf die wackeligen Stelzen gemacht und ist gen Hafen zu Harland and Wolff getiegert, um dort das lokale Großfeuerwerk anzusehen. Zur Belustigung aller und in vollem Kostüm. Viele zumindest. Ich hab mir die Verkleiderei nicht gegeben, aber das war auch kein Problem. War ohnehin so verflixt kalt, dass es Handschuh- und Schalwetter war. Deshalb kein Kostüm, welches mit Sicherheit kälter als die gute North-Face-Joppe gewesen wäre.
Ich bin jetzt mit Geriatrie und Kardiologie fertig und werde am Montag mein letztes Attachment in der Nephrologie im Belfast City Hospital beginnen.
An meinem heutigen letzten Tag im „Cath Lab“ hat mich mein betreuender Arzt gefragt, was ich in diesem Attachment gegenüber dem letzten in der Kardio gelernt habe. Da kann ich sagen: Den Ball flach halten hab ich gelernt… Na nä, mal ernsthaft: Ich kann langsam Herzgeräusche hören und (Trommelwirbel) EKGs sind nicht mehr nur noch Zacken und lustige Linien.
Die letzten zwei Wochen waren weniger arbeitsintensiv als die vorherigen in der Kardio, aber es war sehr sehr gut. Ich war in „aortic stenosis country“ (sechs Aortenklappenstenosen auf einer Station ist schon nicht so schlecht), habe mich von Dr Campbell mal wieder in der Ambulanz einspannen lassen („Why don’t you have a look at this gentleman and I will be with you in 5 minutes?“), habe einen Riesenschreck bekommen als während einer Myokardbiopsie jemand „Asytole!“ gebrüllt hat und mich mit den anderen Final Years über den Doc der uns unterrichtet hat, halb kringelig gelacht. Alles in allem also eine gute Zeit.
Ein Lob hab ich ob meiner „ausgezeichneten theoretischen Kentnisse“ bekommen. Ah ja… Ich frag mich ja, was passiert, wenn jemand hier in die Innere geht, der wirklich Ahnung hat.
Geriatrie war, bei aller Begeisterung ob der Freunde aus der Kardiologie, noch besser. Auch wenn die zuständige Ärztin auf mich den Eindruck machte, mir am liebsten mehrmals täglich ins Gesicht beißen zu wollen: So war es nicht.
Die „Housemen“ (JHOs und SHOs) haben mir die Zeit dort wirklich ganz wunderbar vertrieben. V.a. Hannah, John und Shane waren einfach nur „hilarious“. Den verrückten Reg Anil nicht zu vergessen…
Ihr Kleinkrieg mit der konstant angepissten Stationssekretärin war einfach nur Gold wert.
Meine zwei Wochen „Gerry“ waren auch deshalb prima, weil wir einen Abend ganz furchtbar gut essen und danach noch ganz furchtbar gut trinken war.
Wie Thomas schon richtig bemerkte: Absinth trainiert, und deshalb konnten auch die zwei Tequila-Shots zum Abschluß des ganzen Gelages nichts dazu tun, das teuer bezahlte Essen am falschen Ende herauszubefördern. This time, I was finally able to hold my drink!
Trotzdem schließe ich mich einer anderen Berliner Erasmus-Studentin an: Messe Dich im Trinken niemals mit den Eingeborenen! Auch wenn man vielleicht mitsaufen kann: Am nächste morgen um 8Uhr morgens wieder wie frisch aus dem Ei gepellt auf Station stehen und mittags vor der gesamten Abteilung auch noch einen Vortrag halten – das können in meinen Augen doch die wenigstens von uns so richtig gut.
Auf der anderen Seite gibt es bei uns auch wohl wenige Oberärzte, die ihre Mitarbeiter bei V.a. auf Alkoholintoxikation infolge unsozialen Verhaltens am Vortag ins Röhrchen pusten lassen…
Am letzten Wochenende war ich mit 75% der norwegischen Medizin-Erasmusfraktion und den Belfastern, die nach Norwegen gehen, mit an der Küste. Die Eltern einer hiesigen Studentin haben dort ein Haus (nobel geht die Welt zugrunde...), so dass es nicht nur Schlafen und Essen für (fast) lau gab, sondern auch die Anreise.
Was vielleicht Herrn Borgmann interessieren könnte: Die Damen haben im Sommer in Minden „Volunteer Work“ gemacht und waren ganz und gar begeistert….
Es war auf jeden Fall sehr nett.
Die nächsten vier Wochen werde ich wohl hier in Belfast verbringen und versuchen, ein wenig mehr an meiner glorreichen Doktorarbeit weiterarbeiten. Steter Tropfen macht die Birne hohl oder wie war das? So ähnlich auf jeden Fall, es geht langsam voran.
Wahrscheinlich wird die Studie in naher Zukunft publiziert, sie hat wohl Interesse erweckt und wenn alles gut läuft, landet das Ding in einem orthopädischen Journal. Was mir nicht so unbedingt ungelegen käme, auch wenn es nicht „Anaesthesia and Analgesia“ ist.
Also: Däumchen drücke und SCHREIBEN!
Grüße von hier nach da, wo auch immer ihr gerade seid.